Säure-Basen-Haushalt

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Macht zu viel Säure krank?

Lang war sie Zankapfel zwischen Schul- und Erfahrungsmedizin: die Theorie der chronischen Übersäuerung durch zu viel tierisches Eiweiß. Inzwischen ist erwiesen: Mindestens den Knochen schadet die tägliche Säurelast. // Peter Gutting

Die Patientin geht schleppend. Rückenschmerzen plagen die 53-Jährige. Sie fühlt sich müde und ausgebrannt. Die ständige Hetze, das Essen zwischen Tür und Angel fordern ihren Tribut. Als die Ärztin die Knochendichte untersucht, sind die Werte bedenklich niedrig.Dr. med. Eva-Maria Kraske geht nicht nur in diesem Fall von einer Übersäuerung durch jahrelange Fehlernährung aus. Die Ärztin und Buchautorin schätzt, dass bei mehr als der Hälfte der Patienten die Säure-Basen-Balance nicht stimmt – meist ohne dass es die Betroffenen wissen. Verlässliche Zahlen gibt es allerdings nicht. Der Heilpraktiker und Säure-Basen-Forscher Hans-Heinrich Jörgensen warnt denn auch vor Panik. Es handele sich nicht um eine Volksseuche. Wohl aber um einen Faktor, der das Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigen kann. Dass die derzeitige Normalkost mit ihrem hohen Fleischanteil zu einem Säureschub führt, ist unbestritten. Ebenso, dass sie den Knochenabbau beschleunigen kann. „Jeder ab 50 sollte an dieses Thema denken“, sagt Professor Dr. Jürgen Vormann vom Institut für Prävention und Ernährung.

Kleine Schwankungen – kein Grund zur Sorge

Einen Hinweis auf Übersäuerung gibt das pH-Tagesprofil des Urins. Am besten sieben Mal am Tag mit pH-Teststreifen aus der Apotheke messen, jeweils vor und zwei Stunden nach den Mahlzeiten sowie vor dem Schlafengehen. Wenigstens einmal sollte der neutrale Wert 7,0 oder darüber erreicht werden. Schwankungen und saure Werte unter 6,0 am Morgen und Abend sind kein Grund zur Besorgnis.

Sogar Skeptiker sind überzeugt

Auch ausgewiesene Skeptiker wie Professor Dr. Cem Ekmekcioglu, der die Theorie der Übersäuerung für unbewiesen hält, machen für die Knochen eine Ausnahme. Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass bei übersäuerten Menschen mehr Kalzium aus den Knochen gelöst wurde. Und dass der altersbedingte Knochenabbau bei einer basenreichen Kost mit viel Kartoffeln, Obst und Gemüuuml;se geringer ausfällt. Denn der über-säuerte Körper braucht das Kalzium, um die Säuren zu neutralisieren. Eine obst- und gemüsereiche Ernährung dagegen liefert ausreichend basische Mineralstoffe- und weniger säurebildende Eiweiße.

Balance ist lebensnotwendig

Die Knochen sind eines von mehreren Puffersystemen, die dazu dienen, das Wechselspiel von Säuren und Basen im Gleichgewicht zu halten. Auf die Balance ist der gesamte Stoffwechsel angewiesen, sie tendiert in manchen Organen zum stark sauren Milieu, in anderen zum basischen. In jedem Fall sorgt eine ausgeklügelte Selbstregulierung mit vielfältigen Puffern dafür, dass der lebensnotwendige Ausgleich sichergestellt wird, auch bei heftigen Säuren- und Basen-Zuflüssen von außen. Besonders das Blut muss den pH-Wert, mit dem das Verhältnis von Säuren und Basen gemessen wird, in einem engen Korridor halten, zwischen 7,36 und 7,44. Sonst landet der Patient auf der Intensivstation.

Bindegewebe als Mülldeponie

Auch jenseits dramatischer Entgleisungen ist der Säure-Basen-Haushalt wichtig fürs Wohlfühlen, sagen Heilpraktiker und Ärzte für Naturheilkunde. Eine ständig überhöhte Säurelast erschöpfe die Puffer und belaste die Niere, durch die der Körper überschüssige Säure los wird. Zudem werde das Bindegewebe überlastet – sozusagen die Zwischenmülldeponie für Schlacken und Säure. Das mache sich durch Verspannungen und Muskelschmerzen bemerkbar und könne langfristig zu Zivilisationskrankheiten wie Rheuma oder Gicht beitragen.

Erleichterung nach vier Wochen

Dem lässt sich vorbeugen. Die „Müllabfuhr“ bringe rasch Erleichterung, berichten Erfahrungsmediziner. „Patienten, die eine Entsäuerungstherapie mit Ernährungsumstellung und gegebenenfalls basischer Nahrungsergänzung machen, fühlen sich schon nach einem Monat deutlich besser“, sagt Dr. Michael Worlitschek, einer der Pioniere der Übersäuerungstheorie. Besonders Rückenschmerzen würden deutlich weniger, aber auch Symptome wie Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Sodbrennen oder Hautprobleme.Leider lässt sich die Frage, „bin ich übersäuert und in welchem Maße?“, derzeit kaum eindeutig beantworten. „Wir haben keine einfachen Messmethoden, die in jeder Arztpraxis anwendbar wären, sagt Wissenschaftler Jürgen Vormann. Behelfen kann sich der potenziell Betroffene mit pH-Teststreifen aus der Apotheke (siehe Kasten). Diese Ergebnisse geben aber nur Hinweise, keine schlüssige Diagnose. Aufwändigere Verfahren sind in wenigen Speziallabors möglich.

Mehr Kartoffeln, Obst, Gemüse

Einfacher ist es, basenreich und trotzdem genussvoll zu essen. Die Empfehlungen decken sich mit denen, die allgemein für eine gesunde Ernährung gelten: mehr Kartoffeln, Obst und Gemüse, weniger Fleisch, mehr Kräutertee und stilles Mineralwasser, weniger Kaffee und Alkohol. Eine Faustregel lautet, vier Mal so viel Basenbildner zu sich zu nehmen wie Säurebildner, also im Verhältnis 80 zu 20. Da kann man durch kleine Veränderungen einiges gutmachen. Denn die eiweißreiche Durchschnittskost seit den 50er Jahren bewegt sich eher im Verhältnis 20 zu 80. Jeder, der diesen Trend ein wenig umkehrt und auf mehr Kartoffel, Obst und Gemüse setzt, tut etwas für sein Wohlbefinden. Von allzu radikalen und abrupten Veränderungen rät Ärztin Eva-Maria Kraske ab. Sie weiß, wie schwer es vielen fällt, Gewohnheiten zu ändern. Und plädiert für eine behutsame, nachhaltige, genussreiche Umstellung. Denn: Wer mit einem Lächeln durchs Leben geht, ist ganz bestimmt nicht sauer.

Säure-Basen-Tabelle
PRAL* Wert
Stark basenbildend
Rosinen -21,0
Feigen getrocknet -18,1
Spinat -14,0
Petersilie -12,0
Stark säurebildend
Parmesan 34,2
Emmentaler 21,1
Kaninchen 19,0
Garnelen 18,2
Salami 11,6
*PRAL: „Potenzielle renale Säurebelastung“. Gemessen wird die Belastung der Nieren. Negative Werte bedeuten Basenbildung. Mit freundlicher Genehmigung übernommen vom Institut für Prävention und Ernährung. Vollständige Tabelle unter www.saeure-basen-forum.de.
Erschienen in Ausgabe 10/2005 der Schrot&Korn